Modellprojekt November 2006 - angenommen

Antrag zum Tagesordnungspunk 3 „Frühwarnsystem“ der Sitzung des Jugendhilfeausschusses am 16. November 2006 sowie Tagesordnungspunkt 6 „Frühwarnsystem“ des Ausschusses für Gesundheit und Soziales am 21. November 2006

Beschlussvorschlag
Die Kreisverwaltung möge durch das Kreisjugendamt überprüfen lassen, ob und in welcher Form sich das Jugendamt des Märkischen Kreises um die Teilnahme am vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe ausgeschriebenen Modellprojekt zur „Steigerung der Wirksamkeit intensiver ambulanter Erziehungshilfen in Familien“ bewerben kann.
Dabei ist sicherzustellen, dass Bewerbungsfristen beim LWL und die endgültige Beschlussfassung durch die zuständigen politischen Gremien des Märkischen Kreises terminlich koordiniert werden.

Begründung

Die Beratung des Tagesordnungspunkts „Frühwarnsystem“ in beiden zuständigen Fachausschüssen macht deutlich, dass auch im Märkischen Kreis die Verbesserung des Qualitätsmanagements zur Verhinderung der Vernachlässigung von Kindern diskutiert und bewertet werden soll.

Die SPD-Fraktion sieht hier die sozialpädagogische Familienhilfe der Jugendämter neben anderen Stellen und Institutionen in einer besonderen Verantwortung. Angesichts steigender Fallzahlen zu betreuender Kinder und des damit verbundenen Kostenanstiegs macht es aus Sicht der SPD-Kreistagsfraktion Sinn, alle Möglichkeiten der Verbesserung bei der ambulanten Familienhilfe auszuloten und ggf. umzusetzen.

Eine konkrete Möglichkeit einer solchen Qualitätsverbesserung kann dabei die Teilnahme am genannten und in der Anlage beschrieben Modellprojekt des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe sein.

Die Kosten, die bei Teilnahme auf das Jugendamt des Märkischen Kreis zukommen werden, lassen sich – gemäß dem letzten Abschnitt der Anlage (Vorlage des LWL) - in Relation zu den übrigen Kosten der Jugendhilfe in diesem Bereich eher als gering bewerten.

Anlage
Beschlussvorlage Nr. 12/0668 für die Sitzung des Landesjugendhilfeausschusses beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe:

Der Landesjugendhilfeausschuss beauftragt die Verwaltung

• die wissenschaftliche Begleitung für das Modellprojekt „Steigerung der Wirksamkeit intensiver ambulanter Erziehungshilfen in Familien“ und
• die Möglichkeit zur Teilnahme bei den Jugendämtern und freien Trägern in Westfalen-Lippe

auszuschreiben.

Begründung:

Zusammenfassung:

Die Sozialpädagogische Familienhilfe (SPFH) ist – abgesehen von der Erziehungsberatung – die wichtigste ambulante Hilfe zur Erziehung. Sie weist die höchste Steigerungsrate bei den Fallzahlen aus und verursacht die mit Abstand höchsten Ausgaben im Bereich der ambulanten Hilfen zur Erziehung. Alleine in Westfalen-Lippe wurden im Jahr 2004 fast 12.000 Kindern durch eine SPFH begleitet. Gegenüber 1999 haben sich die Fallzahlen nahezu verdoppelt. Die Gesamtausgaben in NRW beliefen sich im Jahr 2004 auf ca. 72 Millionen €.

Gleichzeitig nehmen die Zweifel an der Wirksamkeit dieser Hilfeform zu. Vielfach werden Familien, in denen sich materielle, gesundheitliche und biografische Belastungen – zum Teil seit mehreren Generationen – kumulieren, durch die SPFH begleitet. Wesentliche Verbesserungen der Lebenslagen dieser Familien sind oft nicht zu erreichen. Wenn es nicht gelingt chronische Strukturkrisen zu beseitigen und deutliche Veränderungen zu erzielen, stellt sich für die pädagogischen Fachkräfte aber auch für die kostentragenden Jugendämter die Frage nach der Sinnhaftigkeit des SPFH-Einsatzes. Problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass ein gänzlicher Verzicht auf sozialpädagogische Intervention meist eine Gefährdung der sich in solch desolaten Lebenslagen befindlichen Kinder bedeutet.

Die Frage nach sinnvollen Zielen und geeigneten Methoden für die SPFH stellt sich in diesen Familien besonders deutlich. Hier soll das Modellprojekt ansetzen und die Wirksamkeit der ambulanten Form der Erziehungshilfen in Familien mit besonders gravierenden Belastungen (Multiproblemfamilien) steigern.

Ausgangslage

Die sozialpädagogische Familienhilfe (SPFH) ist neben der Erziehungsberatung die wichtigste ambulante Hilfe zur Erziehung in Deutschland. Gleichzeitig bestehen vor Ort häufig Zweifel an der Wirksamkeit der SPFH. Sie findet nicht nur in Familien mit zeitlich begrenzten Strukturkrisen statt, wo es um die Restabilisierung nach einem einzelnen kritischen Lebensereignis geht, sondern inzwischen überwiegend in Familien mit chronischen Strukturkrisen. In diesen Multiproblemfamilien kumulieren sich biografische, materielle und gesundheitliche Belastungen oft schon über mehrere Generationen. Wenn diese Familien über längere Zeiträume mit geringer wöchentlichen Stundenanzahl betreut werden, ohne dass die chronischen Strukturkrisen beseitigt oder dauerhafte Veränderungen erreicht werden, entstehen bei den Fachkräften in der Betreuung und bei den kostentragenden Jugendämtern oft grundsätzliche Zweifel an der Wirksamkeit der SPFH. Demgegenüber wird der vollständige Verzicht auf sozialpädagogische Intervention der Kinder als eine Gefährdung des Kindeswohls betrachtet, weil nur so die defizitären Lebenslagen und Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes etwas verbessert werden können und das unverzichtbare Maß an Sorge um sie sichergestellt werden kann.

Zielsetzungen des Modellprojektes

Ziel des Modellprojektes ist es, die Wirksamkeit der SPFH in Multiproblemfamilien zu steigern.

1. Ermutigung und Aktivierung als zentrales Interventionsziel

Vielfach haben es Multiproblemfamilien weitgehend aufgegeben ihre Lebensver-hältnisse zu beeinflussen. Eltern sehen häufig kaum noch Chancen im Sinne von Erziehung ihrer Kinder zu wirken. Oftmals sind die Personen tief resigniert und sehen es als hoffnungslos an, sich zu schützen, z.B. ihre körperlichen Erkrankungen behandeln zu lassen oder ihre Lebensverhältnisse zu ändern. Von Außenstehenden wird dieser Umgang mit dem eigenen Leben und den Lebensverhältnissen in der Familie häufig als Faulheit verstanden. Und insbesondere Frauen und Müttern werden Charaktermängel zugeschrieben. Dies löst bei den Betroffenen noch stärker das Gefühl von Entmutigung, Verbitterung und wachsender Apathie aus. Im Rahmen von Grundlagenforschung werden aus Interviews gewonnene, praktische Beispiele genannt, wie es sozialpädagogischen Fachkräften gelingen kann, solche negativen Prozesse abzumildern und Erfahrungen von Ermutigung, Aktivierung und Kontrollgewinn im Sinne eines stärkeren Einflusses zu erreichen (z.B. Partizipation der KlientInnen i.S.v. „unser Projekt“; Unterstützung/„Verteidigung“ gegenüber „feindselig“ erlebten Menschen/Institutionen; KlientInnenperspektive bei der Betrachtung von Problemlagen; ins Milieu versetzen).

2. Zugang zu protektiven (fördernden, schützenden) Ressourcen außerhalb der Familie

Die SPFH strebt häufig eine Verbesserung der Beziehung der Familienmitglieder untereinander und eine adäquate Übernahme von Elternfunktionen durch die Erwachsenen an. Das ist in vielen Familien auch Erfolg versprechend. Wenn aber eine stabile Übernahme aller elterlichen Erziehungsfunktionen nicht realisierbar erscheint stellt sich regelmäßig die Frage, ob nicht eine Herausnahme der Kinder aus der Familie die bessere Lösung ist. Allerdings bleiben auch diese Eltern oft wichtige Bezugspersonen für das Kind und sie könnten durchaus in Teilbereichen ihre elterliche Funktionen wahrnehmen. Die durch eine Herausnahme ausgelöste zusätzliche Belastung für das Kind kann damit – trotz neuer Entwicklungschancen – zu einer ungünstigen Prognose führen.

Um diese Dilemma aufzulösen, sollen neuere Ergebnisse der Resilienzforschung für die SPFH nutzbar gemacht werden. Resilienz (deutsch: Widerstandskraft) ist die Fähigkeit von Individuen oder Systemen (z.B. Familie), mit Problemen und Traumata umzugehen und sie zu bewältigen.

Die Resilienzforschung, ursprünglich ein Forschungsansatz von Psychologen und Sozialwissenschaftlern, gibt der Pädagogik wichtige Impulse für präventive Handlungskonzepte. So ist belegt, dass sich auch Kinder, die in defizitären Familienverhältnissen aufwachsen, unter bestimmten Bedingungen erstaunlich günstig entwickeln können. Neuere Forschungsergebnisse legen es nahe, auch im unmittelbaren Sozialraum und Geflecht der Netzwerk-beziehungen der Kinder systematisch nach Sozialisationspartnern zu suchen, also einzelnen Kindern den Zugang zu solchen Personen zu ebnen, die sie als Ressourcen für die Bewältigung ihrer Entwicklungsaufgaben nutzen können. Hier geht es um eine Erweiterung des Handlungsrepertoires von SPFH über den Inhalt von innerfamilialer Prozessgestaltung hinaus. Es sollten Instrumente zur Anwendung kommen, die die Entwicklung professioneller Strategien für die zielgerichtete Suche nach anderen Helfern im Sinne von Sozialisationspartnern für einzelne Elternfunk-tionen ermöglichen.

3. Zielgerichteter Einsatz von Direktiven und von kontrollierenden Elementen

Die SPFH bewegt sich häufig in Familien im Spannungsfeld von Hilfe und Kontrolle. Die Kontrollaspekte machen den pädagogischen Fachkräften einen Vertrauensaufbau schwierig. Auf der Grundlage von Vertrauensbeziehungen, deren Entstehung je nach biografischem Hintergrund, sehr lange dauern kann, sind auch Interventionen hilfreich, die Regeln und Ziele definieren und die Einhaltung von Sprachen kontrollieren. Diesen Aspekt soll das Modellprojekt dahingehend aufgreifen, als dass Handlungsmodelle entwickelt werden, die die Sensibilisierungen der Familienmitglieder und den Prozessverlauf des SPFH berücksichtigen und die Voraussetzungen für die Entfaltung konstruktiver, entwicklungsfördernder Effekte beachten. Dadurch sollen die Chancen von Direktiven und kontrollierenden Elementen systematisch erschlossen werden um diese so einzusetzen, dass die Wirksamkeit der SPFH insbesondere in Familien mit erheblichen Strukturkrisen und aktuell begrenzten Selbsthilfepotenzialen erhöht wird. Dabei wird die anfangs verstärkte Fremdkontrolle durch die Aktivierung der Selbstkontrollpotenziale allmählich reduziert.

Laufzeit und Vorgehensweise

Die Laufzeit des Modellprojektes ist auf 2 Jahre angelegt (April 2007 bis März 2009).

Für die Teilnahme an dem Modellprojekt können sich öffentliche und freie Träger bewerben, die intensive ambulante Hilfen in Familien (insbesondere nach § 31 SGB VIII) selbst durchführen und die die Wirksamkeit dieser Hilfen durch die Beteiligung an dem Projekt erhöhen wollen.

Es ist vorgesehen für vier Projektstandorte Partner zu suchen. Neben der Entwicklung von Instrumenten und Handlungsmethoden wird das Projekt einen erheblichen Qualifizierungsbedarf für die beteiligten SPFH-Fachkräfte enthalten. Die Projektergebnisse werden in einem Abschlussbericht festgehalten. Des Weiteren werden die Ergebnisse in Westfalen-Lippe auf Fachtagungen vorgestellt. Das gesamte Projekt soll durch einen Projektbeirat begleitet werden. Dem Projektbeirat sollten jeweils ein/e Vertreter/in der beteiligten Träger, des LWL-Landesjugendamtes und der wissenschaftlichen Begleitung angehören. Der gesamte Kostenaufwand wird auf ca. 50.000,- € geschätzt. Die an dem Modellprojekt teilnehmenden Träger beteiligen sich zu 50% an den anfallenden Kosten.

Die endgültige Projektbeschreibung und die einzusetzenden Finanzmittel, die ausgewählte wissenschaftliche Begleitung, sowie die teilnehmenden öffentlichen und freien Träger werden dem Landesjugendhilfeausschuss in seiner Sitzung am 28.02.2007 zur Beschlussfassung vorgelegt.

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Der Antrag wurde angenommen.

Was ist ein Kreistag?

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Fraktion / Partei – Was ist der Unterschied?

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